Vater

Drama von Florian Zeller Deutsch, von Annette und Paul Bäcker

      

„Vater“ von Florian Zeller gilt laut Medienberichten als eines der besten Theaterstücke des Jahrzehnts. 2012 uraufgeführt wurde es in rund 50 Ländern gespielt. Weltberühmt machte die Geschichte eines alten, an Alzheimer erkrankten Mannes jedoch Anthony Hopkins. Der Schauspieler, der als Hannibal Lecter in 
„Das Schweigen der Lämmer“ zur Ikone wurde, spielt in der 2020 entstandenen Verfilmung die Titelrolle und wurde unter anderem mit dem Oscar ausgezeichnet.

Zeller erzählt in raffiniert verschachtelten Szenen die Geschichte des sich langsam aus der Wirklichkeit verabschiedenden André radikal aus dessen Perspektive. Einfühlsam und anrührend blickt er zudem auf das, was die Alzheimer-Erkrankung mit den Angehörigen des Betroffenen macht – mit seiner Tochter Anne, deren Partner Pierre und der Pflegerin Laura.

Das Stück wird im Erthaltheater Aschaffenburg mit folgender Besetzung aufgeführt.

André: Dieter Schaller

Anne: Anne Fischer

Pierre: André Fuhrmann

Laura: Mila Korkin Regie

Bühne & Kostüme: Jürgen Overhoff/Melanie Schmidt

Wenn Wirklichkeit und Vernunft zerbrechen

Drama: Aschaffenburger Erthal-Theater hat Florian Zellers »Vater« verstörend intensiv inszeniert

Wie nahe Liebe und Hass beieinander liegen im Umgang mit einem an Demenz erkrankten Angehörigen, zeigt die aktuelle Inszenierung des Erthal-Theaters von Florian Zellers »Vater«.

Bei der Premiere bekamen die Besucher keine leicht verdauliche oder gar humorvolle Kost geboten, wie streckenweise in der Erthal-Theater-Produktion »Honig im Kopf« von 2018. Denn Zellers 2012 uraufgeführtes und international erfolgreichen Bühnenstück »Vater«, das 2020 mit Anthony Hopkins in der Hauptrolle verfilmt und mit einem Oscar ausgezeichnet wurde, nimmt schonungslos die Perspektive des Betroffenen ein. Dieser erlebt seine Umgebung als zunehmend verzerrt und schemenhaft.

Dieter Schaller, der bereits den Opa Amandus in »Honig im Kopf« spielte, verkörpert nun den Vater André auf der Erthal-Theaterbühne. Dessen erschütternder Schrei »Nein!« beendet das verstörend intensive Bühnengeschehen. Andrés Abtauchen in völlige Dunkelheit markiert den Punkt, auf den sich die immer noch unheilbare Krankheit unweigerlich zubewegt.

[…] Der Zuschauer ist gefordert, das tatsächliche Geschehen von dem zu unterscheiden, was nur in Andrés Vorstellung existiert – und verliert doch irgendwann die Kontrolle über Realität und Irreales, wie vom Autor Zeller sehr wohl intendiert. Regisseur Jürgen Overhoff setzt bei diesem komplexen Verwirrspiel teils auf Verkleidung und Lichteffekte.

[…] Am interessantesten an der Aschaffenburger Inszenierung sind – neben Schallers unglaublich sensibler Umsetzung des schleichenden Bewusstseinsverlusts – die Fragen, die dem Kranken von seinem überforderten Umfeld gestellt werden. »Wie lange wollen Sie uns eigentlich noch verarschen?« Ob der insgesamt kühl auftretende Pierre das wirklich so gesagt hat, fragt sich der Zuschauer beim wiederholten Auftauchen dieses empathielosen Mantras.

[…] Ein Video von Rene Fugger umrahmt die Handlung. Es zeigt die Köpfe der Darsteller: am Anfang in wechselnden Positionen und geordneter Reihenfolge und in der Schlusseinstellung als überlappende Schatten, die von einem Gitterraster brutal zerschreddert werden. Die Hoffnungslosigkeit, in die das Stück mündet, vermittelt allerdings auch eine wichtige Botschaft: wie wenig Sinn vorgeblich vernünftiges Kalkül im Umgang mit Demenzkranken macht. Bei allem Wissen über die Krankheit bleibt persönliche Nähe ungemein wichtig – und die Ehrlichkeit zum Betroffenen und zu sich selbst.

MELANIE POLLINGER/MAIN-ECHO 12.10.22

Fotografie Mike Lörler

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